Nachhaltigkeit hat viele Gesichter. Nachhaltigkeit ist Trend, Werbebotschaft und Kampfbegriff. Nachhaltigkeit ist Ökologie und Ökonomie. Wir sprachen mit Experten darüber, was das im Detail für uns bedeutet: dem Kirchhellener Förster Markus Herber Markus Herber von Wald und Holz NRW, dem Bottroper Garten- und Landschaftsbauer Lars Stammkötter und dem Dorstener Steuerberater Volker Brieskorn.
Mit Handschühchen und Schüppchen
Ein Förster, ein Garten- und Landschaftsbauer und ein Steuerberater sprechen über die vielen Gesichter der Nachhaltigkeit
Was bedeutet Nachhaltigkeit in Ihrem beruflichen Alltag?
Markus Herber: Im Forst ist Nachhaltigkeit das primäre Ziel. Hans Carl von Carlowitz hatte im 17. Jahrhundert gesehen, dass die Wälder wirklich ausgeräubert worden sind, und gesagt: „Leute, wir dürfen dem Wald nur so viel Holz entnehmen, wie auch pro Jahr zuwachsen kann.“ Auch heute muss sich jeder an die eigene Nase packen: Müssen wir dreimal oder fünfmal im Jahr in den Urlaub fliegen? Die Natur muss es wieder auffangen – und das schafft sie bald nicht mehr. Auch bei uns sterben alte Wälder ab, Buchenwälder. Und damit der Lebensraum für Insekten, Pilze, Vögel. Und die grüne Lunge im Ballungsraum.
Lars Stammkötter: Wir arbeiten viel im kommunalen Bereich, pflegen kommunales Grün und stellen Begleitgrün an Straßen her. Wir suchen nach industriehärteren Bäumen, die auch die Auswirkungen der Trockenheit überstehen. Im Frühjahr haben wir häufig Trockenheit, dafür sind die Winterfröste nicht mehr so stark. Wir versuchen deshalb, unsere Kunden davon zu überzeugen, bevorzugt eine Herbstpflanzung anstatt der Frühjahrsbepflanzung zu beauftragen.
Markus Herber: Im Sauerland sind ganze Wälder verschwunden, da kommt man ja gar nicht nach mit dem Nachpflanzen. Das macht die ganze Planung absurd. Auch die Baumschulen sind gar nicht darauf vorbereitet, diese Mengen schnell wieder aufzuforsten. Das heißt, wir müssen mit der Natur arbeiten, und alles, was die Natur von alleine bringt, nehmen wir schon einmal mit. Natürliche Verjüngung nennt sich das. Und wenn dann irgendwo was fehlt, dann ergänzen wir.
Lars Stammkötter: Dachbegrünung ist immer wieder ein Thema. Zudem versuchen wir auch die Privatkunden davon zu überzeugen, von den modischen sterilen Sachen wegzugehen, vielleicht auch mal wieder heimische Gehölze zu pflanzen, die auch Vögeln und Insekten Zuflucht bieten. Das ist glücklicher Weise auch ein politisches Thema geworden: Die Leute werden immer sensibler, gerade die jüngere Generation.
Volker Brieskorn: Zwar bin ich nicht im ökologischen Gebiet zu Hause, aber für uns Steuerberater ist Nachhaltigkeit ebenfalls wichtig. Das geht im Kleinen los, denn die Digitalisierung ermöglicht uns, Ressourcen einzusparen. Der gesamte Posteingang wird gescannt und nicht mehr kopiert. Auch Akten sind im Grunde genommen kaum noch notwendig.
Viele Dinge sind aber noch im Umbruch, auch in unserem Bereich. In manchen Dingen gibt es auch noch keine vernünftige, einfache Lösung. Das ist zum Beispiel die Unterschriftserfordernis, die bei uns immer noch ein bisschen Sorge bereitet. Finanzverwaltung und Steuerberatungskammer ermöglichen beispielsweise weiterhin keine Datenübermittlung ohne Unterschrift. Das heißt, wir drucken immer noch recht umfangreich Steuerklärungen, die dann doch unterschrieben werden müssen. Dann scannen wir die ganzen Sachen ein, verwahren das Original noch ein paar Jahre und schreddern es anschließend.
Nachhaltigkeit ist seit kurzem ein Trendthema in den Medien. Ist für die mittelständische Wirtschaft nachhaltiges Denken und Handeln nicht schon immer typisch gewesen?
Volker Brieskorn: Wir sind als Steuerberater schwerpunktmäßig im Handwerk unterwegs. Und Familienbetriebe zeichnen sich ja eigentlich durch Nachhaltigkeit aus und denken traditionell in Jahrzehnten und Generationen. Aber das ist sehr schwer geworden. Ob Personalplanung oder die Lagerung von Material, vieles ist nicht mehr langfristig kalkulierbar. Unternehmensnachfolge erst recht nicht.
Markus Herber: Ich würde mal sagen, zehn Jahre sind für uns Förster kein Zeitspektrum. Im Wald geht es über Jahrhunderte. Ich muss langfristig planen, über Jahrzehnte hinweg, dass der Wald bestehen bleibt, dass der ein oder der andere Eigentümer auch davon leben kann.
Lars Stammkötter: Die letzten Jahre waren sehr trocken. Viele Rasenschnitte waren nicht arbeitsintensiv, weil der Rasen nicht stark gewachsen ist. Die dafür abgestellten Mitarbeiter mussten dennoch beschäftigt werden. Dieses Jahr ist es so, dass die Vegetation explodiert, wir kommen mit dem Rasenschnitt nicht hinterher. Wenn wir vorne anfangen den Rasen zu schneiden, wächst das Gras hinter uns schon wieder hoch. Das Wetter hat im Augenblick eine sehr starke Dynamik, und auch bei der zukünftigen Klimaentwicklung gucken wir alle in eine Glaskugel. Als Mittelständler kann ich jedenfalls für die nächsten drei, fünf Jahre nicht einschätzen, wo die Reise hingehen wird. Auch nicht mit dem Personaleinsatz.
Gibt es denn allgemein ein besseres Verständnis für mehr Nachhaltigkeit?
Markus Herber: Wissen Sie, ich habe im Bottroper Stadtwald mal Bäume absägen lassen. Ganz normale Durchforstung, von einem externen Gutachter festgelegt. Da stehen dann 70 erwachsene Menschen vor mir und einer grummelt rum: „Markus Herber, das kann jetzt nicht sein. Sie müssen jetzt hier nachpflanzen.“ Ich sage dann: „Jetzt schauen Sie mal zur Erde. Dort stehen pro Quadratmeter 30 junge Buchenkeimlinge, manche auch schon zwei, drei Jahre alt.“ Die Bäume für die nächste Generation stehen also schon in den Startlöchern.
Lars Stammkötter: Dabei ist ein Wald, der sich selbst verjüngt, immer der bessere. Denn jeder Keimling, der sich hocharbeiten muss, ist besser als ein gepflanzter verschulter Baum: Für den Anwuchs des Baumes muss ich derzeit wahrscheinlich eine Kerze in der Kirche anzünden und ein Gebet sprechen.
Markus Herber: Aber ich konnte diesen Leuten den dynamischen Prozess Wald nicht begreiflich machen. Da heißt es dann: „Ich muss doch jetzt hier große Bäume pflanzen. Mit den kleinen Bäumen – wie lange sollen wir denn warten?“ Es gab sogar Teenager, die haben geweint, da sie mit dem sich gebotenen Bild der Baumfällungen nicht klarkamen.
Wie sieht es aus mit dem Thema Unternehmensführung? Auch hier hört man immer öfter den Begriff Nachhaltigkeit. Vor allem dann, wenn es um den beruflichen Nachwuchs geht …
Lars Stammkötter: Was die generelle Nachhaltigkeit unserer Branche betrifft - und hier vor allem hinsichtlich des beruflichen Nachwuchses - da sehe ich schwarz. Da haben wir den Zenit lange überschritten und im Garten- und Landschaftsbau zu spät reagiert. Der Beruf des Gärtners hat keine gute Lobby, das muss man ganz klar sagen. Die Leute mögen sich eigentlich nicht die Hände dreckig machen.
Wer will denn heutzutage noch einen handwerklichen Beruf ergreifen? Heute ist es charmanter und smarter, einen kaufmännischen Beruf zu ergreifen oder etwas Juristisches zu machen als auf den Bau zu gehen. Das Problem ist auch, dass der handwerkliche Beruf in der Vergangenheit zu schlecht bezahlt worden ist. Dabei ist es schon lange nicht mehr so, dass da jemand nur noch malocht, nichts im Kopf haben muss und schlecht bezahlt wird. Das sind heute hochtechnische Berufe!
Volker Brieskorn: Ich glaube auch, dass Mitarbeitergewinnung und Mitarbeiterführung ein Thema der Nachhaltigkeit ist. Und zwar branchenübergreifend. Das ist einmal die demografische Entwicklung, die eine Rolle spielt. Nicht nur das Handwerk, sondern auch wir Steuerberater kennen keinen Kollegen, der nicht Verstärkung sucht. Sie haben mit Sicherheit Recht, dass auch bei uns im Anfang die Ausbildungsvergütung entsprechend gering war. Da wurde in den letzten Jahren ganz stark nachgebessert. Aber trotzdem ist es mittlerweile so, dass Sie sich als Arbeitgeber bewerben müssen, wenn Sie eine Stelle besetzen wollen – nicht umgekehrt.
Markus Herber: Man muss früh anfangen. Man kann nicht warten, bis die Schüler ihr Abi in der Tasche haben. Wir sind auch hier nachhaltig, holen Grundschulkinder aus Kirchhellen und Bottrop rein, und jedes Kind pflanzt seinen Baum. Die sind dann im ersten Schuljahr und machen sich teilweise zum ersten Mal im Leben die Hände dreckig. Bis vor einiger Zeit kamen die Kinder sogar mit Handschühchen und Schüppchen zum Bäumepflanzen ... Wir haben gesagt: „Nee, Handschuhe gibt es nicht mehr, Schüppchen auch nicht. Wir haben super Mutterboden hier, mit den Händen wird jetzt hier gearbeitet. Da vorne ist ein Fass mit Wasser, da machen wir später die Hände sauber.
Für Schüler im zweiten und dritten Schuljahr gibt es Führungen zum Thema Wald mit seinen Bäumen und Waldbewohnern, und im vierten Schuljahr pflanzen wir sogar unseren Jahrgangswald. Dann erklärt man natürlich den Kindern, dass man auch mal ein Tier der Wildbahn entnehmen muss, da ansonsten ihre gepflanzten Bäumchen von den Rehen und Hirschen aufgefressen werden, wenn es zu viele werden. Diese Kinder stehen dann nicht mehr da und sagen: „Iiihhh, der böse Jäger/Förster schießt das Wildtier tot. Von dem Wildtier, das geschossen wurde, machen wir abends ein Grillfest. Da bekommen die Kinder ein vollbiologisches Bratwürstchen. Dann kommen Giersch und Löwenzahn Salat dazu. Somit haben wir ein natürliches und nachhaltiges Beispiel rund um die Natur.
Lars Stammkötter: In meinem Fall müssen die Mitarbeiter teilweise mit teuren, schweren Maschinen umgehen. Es ist daher ein sehr hoher Sicherheitsstandard auf den Baustellen gefordert. Die technische Verarbeitung von neuen Materialien erfordert sehr viel Know-how. Die Mitarbeiter müssen eine starke Bereitschaft zeigen, sich permanent weiterzubilden. Das muss natürlich entlohnt werden. Damit haben wir jedoch zu spät begonnen. Das heißt im Umkehrschluss: Es will keiner mehr eine Lehre machen, und folglich sich auch kaum jemand weiterbilden in Richtung Techniker-/ Meister-Schule. Wir haben zu wenig Techniker, Meister und Diplom-Ingenieure der Fachrichtung Landschaftsarchitektur, bzw. Landespflege. Wir haben viel Arbeit, jedoch haben wir einen Mangel an Führungskräften im Garten- und Landschaftsbau.
Volker Brieskorn: Wir haben zum Glück wenig Fluktuation, aber auch für uns ist es immer schwieriger, die junge Generation zu überzeugen, dass es auch ganz gut sein kann, 30 oder 40 Jahre in einem Betrieb zu bleiben. Klar sind solche Zeitspannen heute schwierig, weil die jungen Leute ja später anfangen zu arbeiten als früher. Aber es wird auch häufiger gesagt, ich möchte auch mal was anderes kennenlernen und ausprobieren. Das ist ja heute auch kein Problem: Das Angebot übersteigt die Nachfrage.
Viele Betriebe bilden aus, und das ist mittlerweile hoch anzurechnen. Viele sagen aber auch, ich habe da gar keine Lust mehr zu. Denn viele junge Leute kommen mit schlechten Noten, können – übertrieben gesagt – gerade mal geradeaus laufen. Dann quäle ich mich drei Jahre mit ihnen rum, bringe ihnen etwas bei, und können sie irgendwo 200 Euro mehr verdienen und – schwupp! – sind sie weg.
Wenn Sie jetzt einen Wunsch frei hätten in Sachen Nachhaltigkeit für Ihr Unternehmen, für Ihren Berufszweig: Was würden Sie sich wünschen?
Markus Herber: Ich wünsche mir, dass wir dauerhaft ein naturverträgliches Klima haben, also am besten ständig wechselndes Wetter. Mal Sonne, mal Regen, mal Gewitter. Perfekt.
Klar, das ist ein Wunsch an den lieben Gott. Aber auch wir Menschen machen das Klima, und wenn sich jeder mal ein bisschen an die Nase packt und ein bisschen ökologischer handelt, bringt uns das mehr, als wenn wir sagen: „Ach, wir machen jetzt wie vor Corona weiter.“ Mal eben nach Paris fliegen zum Frühstück ... das ist doch totaler Blödsinn … Entschuldigung, dass ich das so provokativ sage.
Lars Stammkötter: Ich wünsche mir wirklich eine umfängliche ökologische Aufklärung der Menschen. Dass die Leute auch mal Dinge hinterfragen, sich wirklich mit ökologischen Konsequenzen eines vermeintlich umweltbewussten Verhaltens auseinandersetzen. Dann wird sichtbar, dass wir Schäden verursachen, die irreversibel sind. Ich gebe einfache Beispiele: Ein E-Auto zu fahren, mag auf den ersten Blick eine gute Sache sein. Dass wir jedoch in Deutschland noch immer Braunkohle verstromen, darüber denken in diesem Zusammenhang scheinbar wenige nach. Und weitergedacht: In Deutschland renaturieren wir Landschaftsgärtner den Tagebau, wenn die Braunkohle abgebaut worden ist. Die Minen im Kongo jedoch, die Kobalt liefern für unsere E-Autos, wird nach Ausbeute niemand landschaftlich renaturieren. Und was machen wir mit den gebrauchten Akkus, wenn diese sich nicht mehr laden lassen? Kann ich da noch einfach in ein Autohaus gehen, kaufe mir ein E-Auto und glaube mit bestem Gewissen, dass ich der Umwelt etwas Gutes tue?
Und was machen wir mit den polystyrolen Dämmstoffen an unseren Niedrigenergie-Häusern? Keiner macht sich Gedanken darüber, was in 80 bis 120 Jahren geschehen wird. Das Material mag heute energieeinsparend sein, aber in 100, 120 Jahren sitzen wir auf einem riesigen Altlastenhaufen, dem wir nach heutigem Stand nicht mehr Herr werden können.
Volker Brieskorn: Es wird ein gewisses Umdenken stattfinden, weil man erkannt hat, dass es für mehr Nachhaltigkeit auch technische Möglichkeiten gibt und dass es doch gar nicht so schwierig ist. Wir haben seit über 30 Jahren ein Büro in Hainichen, das ist zwischen Chemnitz und Dresden gelegen. Da habe ich morgen noch eine Videokonferenz. Präsenzveranstaltungen werden zwar niemals ganz ersetzt, aber die Dienstreisen werden weniger. Und das ist gut. Bei alledem wünsche ich mir aber auch, dass die Wirtschaft menschlich bleibt. Nur digital, das möchte ich nicht.