Unsere Region: Megatrend, Lebensgefühl oder Wirtschaftsfaktor?

Die bekannten Straßen, die vertrauten Ecken, die Menschen, die man kennt. Immer häufiger hört man in Gesellschaft und Politik, in Medien und in der Werbung, Begriffe wie Heimat, Bodenständigkeit und Region. In diesem VolksbankTalk kommen der Landwirt Bernhard Stratmann, der Handwerker Frank Grywna und der Radio-Journalist Tobi Rode zu Wort*. Ihr Thema: unsere Region.

Das Bekenntnis zur Region und zur Regionalität gehört zu den Megatrends der Gegenwart.  Was bedeutet Region für Sie?

Bernhard Stratmann: Wenn es um das persönliche Empfinden geht, ist es immer das Miteinander, dass man sich kennt und immer im Austausch mit Berufskollegen, Kunden und natürlich Freunden und Bekannten steht. Für mich ist eine Region nicht geografisch auf das Genauste festgelegt. Es ist nicht die Region an sich, sondern wie sie über lange Zeit über alle Bereiche und Branchen hinweg mit uns gemeinsam gewachsen ist.

Frank Grywna: Region bedeutet für mich in erster Linie Lebens- und Geschäftsmittelpunkt. Gerade im Handwerk hat Regionalität noch eine wichtige Rolle. Hier in der Region um meine Heimatstadt und drum‘ herum – also Ruhrgebiet: Hier leben meine Kunden, meine Geschäftspartner, meine Zulieferer. Hier ist meine Bank, mein Netzwerk von Architekten und Handwerkern.

Tobi Rode: Von vielen Menschen, die ihrer Region den Rücken gekehrt haben, hört man ja, dass sie es nicht mehr ertragen konnten, jeden Tag beim Einkaufen oder am Geldautomaten die gleichen Gesichter zu sehen. Genau das finde ich aber super! Wenn ich in meine Volksbank-Filiale gehe, treffe ich immer jemanden, den ich kenne – auch wenn man im Moment wegen der Maskenpflicht oft zwei Mal hinschauen muss. Man quatscht und hält sich auf dem Laufenden. Das ist für mich Region. Ein Lebensgefühl.

Spielt das Alter eine Rolle bei dem Thema Regionalität?

Tobi Rode: Für mich gehört das Bekenntnis zur Region schon seit meiner Kindheit zu meinem Leben dazu. Ich bin im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen - und ich werde diese Region wohl auch nie wieder verlassen. Ich habe hier meine Freunde, meine Familie, meinen gesamten Lebensmittelpunkt.

Bernhard Stratmann: Unter-20-Jährige interessieren sich teilweise für Regionalität, aber vor allem jungen Familien ist sie wichtig. Ich glaube, da spielt es mehr eine Rolle, dass man an die frühere Kindheit denkt und ein bisschen das Heimelige sucht. Lidl, Aldi, Edeka & Co. werben ja intensiv auf dieser Schiene, versuchen genau das zu vermitteln. Regionalität bedeutet eher Nähe – und das in einer Zeit, in der so vieles online geschieht. Und ich glaube, dass kleine Betriebe und Läden in der Region ein bisschen Sicherheit vermitteln. Man weiß, was man an ihnen hat, vor allem an den Menschen dort.

Frank Grywna: Handwerk ist ja immer noch Vertrauenssache und basiert viel auf Empfehlungen. Und Empfehlungen gibt es da, wo man lebt, wo man arbeitet, wo man bekannt ist. Wichtig sind den Menschen auch Projekte, die man kennt und hier in der Region unterstützt. Wo man sich einbringt. Das ist für mich Region.

Sie haben sogar ein regionales Netzwerk gegründet, Herr Grywna …

Frank Grywna: Genau. Das sind Handwerker hier aus der Region, aus Bottrop, Kirchhellen, Dorsten, Gladbeck. Verschiedene Gewerke wie Fliesenleger, Sanitär, Heizung, Elektriker, Maler, aber auch Architekten und ein Baustoff-Großhändler. Wir arbeiten zusammen, sprich: übernehmen gemeinschaftlich Projekte. Es sind nicht immer alle im Einsatz, das ist eher ein lockeres Netzwerk. Wir haben es Modernisierungsoffensive genannt.

Regionalität ist längst ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Wie schätzen Sie die aktuelle Entwicklung ein?

Bernhard Stratmann: Heutzutage kommt der ökologische Gedanke immer mehr raus. Auch der Klimagedanke spielt beim Kaufverhalten immer mehr eine Rolle. Fahr ich jetzt zum Hofladen oder zu einem anderen Direktvermarkter, die auf dem Wochenmarkt stehen oder Automaten betreiben? Ich weiß, da habe ich das Produkt von jemanden direkt gekauft und dadurch nicht nur etwas Regionales mit Qualität gekauft, sondern auch Transportwege gespart.

Frank Grywna: Gerade die jüngere Generation also trotz Amazon und Co. legen immer mehr Wert auf Regionalität. Für die ist das eigentlich noch viel wichtiger geworden. Gerade unter ökologischen Gesichtspunkten, kurze Anfahrtswege, schnelle persönliche Lieferketten. Ich denk‘ mal, es ist noch lange nicht am Ende. Regionalität ist immer noch ein Aufwärtstrend.

Tobi Rode: Wenn man sich mit seiner Region und seiner Heimat identifiziert, gehört es für mich dazu, auch regionale Produkte zu kaufen und damit die regionale Wirtschaft zu unterstützen. Das ist in der Corona-Krise noch wichtiger als je zuvor. Dafür gebe ich dann gerne auch etwas mehr Geld aus. Man sollte aber darauf achten, dass das Geld auch wirklich dort ankommt, wo es benötigt wird.

Mit Regionalität lässt sich also gut Geld verdienen?

Bernhard Stratmann: In Frankreich oder Italien haben Lebensmittel schon seit Jahren einen höheren Stellenwert als in unserer Bevölkerung. Da gibt man prozentual auch mehr für Lebensmittel aus. Ich glaube, das liegt auch daran, dass es dort wichtiger ist, wo die Lebensmittel herkommen. Aber das geht ja gerade auch bei uns in der Region in diese Richtung.

Tobi Rode: Ich habe den Eindruck, dass viele Firmen den Trend zur Regionalität versuchen auszunutzen. In jedem Supermarkt gibt es mittlerweile unzählige Produkte, die Regionalität und Identifikation mit der Heimat suggerieren. Von der Ruhrpott-Schokolade über den Zechen-Schnaps bis zur Glück-Auf-Marmelade. Dabei sollte man immer kritisch hinschauen und sich fragen: Kommt das Produkt jetzt wirklich von hier und unterstütze ich damit eine lokale Firma? Oder versucht da jemand nur, auf Kosten eines Trends Geld zu machen?

Bernhard Stratmann: Wir Landwirte zeigen deshalb mittlerweile in den sozialen Medien, wie die Kartoffel angebaut wird und woher die Tomate, der Feldsalat und der Rucola kommen. Wer kümmert sich um was? Und manchmal auch: Welche Betriebe arbeiten da eigentlich alle zusammen? Ich glaube, wenn Verbraucher das mitbekommen, dann treffen sie eher die Entscheidung, dass sie zu solchen Betrieben fahren. Denn hier bekommen sie kein Massenprodukt, sondern etwas von einem kleineren Betrieb aus der Region. Es steckt also immer eine Geschichte dahinter.

Wird für Sie und für Ihre Branche Regionalität auch 2030 noch ein wesentlicher Faktor sein?

Frank Grywna: Ja, definitiv! Gerade unter ökologischen Gesichtspunkten mit kurzen Wegen und schnellen Lieferketten, auch mit persönlicher Bekanntheit, ist Regionalität sicherlich das Thema der Zukunft – oder eines der Themen der Zukunft.

Tobi Rode: Das Lokalradio hat gegenüber allen anderen Radiosendern einen entscheidenden Vorteil: Wie der Name schon sagt – die Lokalität. Unsere Mitarbeiter kommen aus dem Vest, kennen sich hier aus, identifizieren sich mit der Region und dürfen darüber auch noch berichten. Besser geht es ja gar nicht! Das kann in der Form auch kein anderer Sender leisten.

Bernhard Stratmann: Also da bin ich mir ganz sicher. Ich glaube, Regionalität wird in Zukunft immer eine Rolle spielen und in den nächsten zehn Jahren sowieso. Derzeit ändert sich ein ganzes Kaufverhalten, deshalb ist eine Betrachtung von zehn Jahren vielleicht sogar zu kurz. Wenn man jetzt ein paar Jahre zurückschaut, wie stark sich da schon was getan hat: Man merkt  schon, dass die meisten Menschen immer mehr bereit sind, zum Beispiel für ein Ei aus der Region jetzt fünf oder sechs Cent mehr zu zahlen als für eins vom Discounter. Wir haben diesen Trend oder diese Richtung gerade erst eingeschlagen …

Sie sind also alle für die Zukunft gut gerüstet?

Bernhard Stratmann: Was noch für weitere Veränderungen sorgen wird, ist die Online-Vermarktung von Lebensmitteln. Die sind nun mal nicht so haltbar wie andere Waren, auch nicht im Regionalen. Aber Dr. Oetker hat jetzt Flaschenpost für eine Milliarde Euro übernommen. Es beginnt also mit Produkten, die über Monate haltbar sind. Wenn es also eine Lösung gibt, wie ich einen Kopfsalat, der jetzt gerade geschnitten wurde, frisch nach Hause bekomme, dann wird sich auf dem Gebiet noch viel tun. Aber ich glaube im Moment, dass die Menschen noch etliche Jahre für frische Lebensmittel zum Händler oder zum Produzenten fahren werden.

Tobi Rode: Natürlich dürfen wir Trends nicht verschlafen, gerade im Online-Bereich. Mindestens 50 Prozent aller Informationen, die wir transportieren, werden nicht mehr im klassischen Radio konsumiert – sondern auf Instagram, Facebook und auf unserer Homepage. Aber diese Informationen haben alle eine Gemeinsamkeit: Sie sind lokal. Das ist es, was uns ausmacht. Und deshalb wird Regionalität auch über das Jahr 2030 hinaus noch ein wesentlicher Faktor für uns sein. Auch wirtschaftlich. Denn als Privatradio bekommen wir keine öffentlichen Gelder, sondern finanzieren uns fast ausschließlich über Werbung. Deshalb ist es wichtig, dass möglichst viele regionale Firmen die Reichweite des Radios weiterhin zu schätzen wissen und für ihre Produkte bei uns werben.

Frank Grywna: Die ganz Kleinen werden sich wahrscheinlich schwertun gerade mit den Anforderungen, die im Handwerk auf uns zu kommen. Aber die Mittelständler, die in der Region quasi verwurzelt sind und sich groß genug aufgestellt haben, werden profitieren. Denn der Mittelstand lebt von der Region.
 

* Coronabedingt fanden die Gespräche zeitlich und räumlich getrennt statt und wurden nachher zu einer Diskussion zusammengefügt.
 

Zur Person

Tobi Rode, im November 1982 in Gelsenkirchen geboren, lebt „seit 35 Jahren im wunderschönen Hervest-Dorsten“ und ist seit seiner Kindheit Schalke-Fan, seit 30 Jahren Mitglied beim SuS Hervest-Dorsten und seit einigen Jahren auch beim Fanfarenkorps Hervest-Dorsten und beim Schützenverein Dorf Hervest. Bei Radio Vest arbeitet Tobi Rode seit fast 16 Jahren.

Frank Grywna, Jahrgang 1968, führt seit 2007 die Firma Elektro Organista in Bottrop und hat einen Verbund von Handwerksbetrieben gegründet, um vor Ort Baudienstleistungen aus einer Hand anzubieten. 25 Mitarbeiter sind für Kunden aus Gewerbe und Industrie sowie Privatkunden in Bottrop und Umgebung unterwegs, sechs Fachleute am zweiten Organista-Standort in Mülheim an der Ruhr.

Bernhard Stratmann jun. ist staatlich geprüfter Agrarbetriebswirt aus und in Grafenwald. Schon seit Generationen verkauft seine Familie auf Wochenmärkten vor Ort und im eigenen Hofladen Kartoffeln und Gemüse. Vor einigen Jahren sind Eier aus eigener Freilandhaltung dazu gekommen. Im Hofladen bietet der 25-Jährige auch Rindfleisch aus eigener Produktion und kleine Geschenkartikel an, zudem Liköre und Marmeladen aus der Region.