Über den Wert von Lebensmittel

Über den Wert von Lebensmittel sprachen wir vor der Corona-Krise mit Rolf Fricke vom NABU Bottrop), dem Edeka-Marktbetreiber Ralf Honsel, Stefan Nießing (Vorstand der Agri V Raiffeisen) und Friedrich Steinmann, Landwirt aus Kirchhellen und Aufsichtsratsvorsitzender der Vereinten Volksbank.

Herr Honsel, welchen Wert haben Lebensmittel für Sie?

Honsel: Das Schöne ist das Wort schon an sich: Lebensmittel sind Mittel zum Leben. Lebensmittel sind wichtiger als alles andere, da wir ohne Lebensmittel nicht leben können. Eine Krankenversorgung ist wichtig, Schulbildung ist wichtig. Ich könnte jetzt noch andere Fälle aufzeigen. Aber ohne Lebensmittel ist alles nichts. Was man in den Ländern merkt, wo es zu wenig oder zu teure Lebensmittel gibt, weil der Großteil der Bevölkerung sich diese nicht leisten kann. Wir sind in einer sehr komfortablen Situation, das bei uns die Bevölkerung sich Lebensmittel leisten kann.

Welchen Wert haben sie für Sie persönlich?

Honsel: Ich bin leidenschaftlicher Genießer. Für mich gehören gutes Essen und gutes Trinken ganz wesentlich zu meinem Lebenskonzept – neben Sport.

Steinmann: Herr Honsel hat einen ganz wichtigen Satz vorangestellt. Bei Lebensmittel reden wir über unabdingbare Mittel, die wir zum Leben brauchen. Das leuchtet, glaube ich, jedem ein. Interessanterweise rückt die Diskussion um Lebensmittel in den letzten Jahren immer mehr in den Vordergrund, das ist ganz gewiss auch eine Folge eines sehr großen Wohlstands.

Im Zusammenhang mit Lebensmittel müssen wir nicht mehr fragen, werden wir überhaupt noch satt. Sondern wir fragen nur noch, wie können wir auf dem Weg des täglichen Sattwerden noch zusätzlichen Nutzen generieren. Dabei kommen noch ganz viele Fragen auf, die die Verbraucher stellen. Bis hin zu der Frage, wie hat das Schwein gelebt, von dem ich gerade ein Kotelett esse? Oder wie geht es der Kuh, von der ich gerade die Milch trinke? Von welchem Acker kommt die Kartoffel? Und viele Dinge mehr. Da merken wir plötzlich: Wir reden nicht mehr nur über das Lebensmittel und über die objektive Qualität des Lebensmittels, welche man in einem wissenschaftlichen Labor ermitteln kann, sondern wir reden über Produktionsprozesse.

Das ist eine Diskussion die es bis vor 15, 20 Jahren überhaupt nicht gab. Da war nur die objektive Qualität eines Lebensmittels Thema. Jetzt reden wir über Produktionsprozesse, und da wird die Frage ganz interessant, welchen Wert haben dann Lebensmittel noch?

Wir stellen plötzlich fest, wir vergleichen mittlerweile Äpfel mit Birnen, wenn wir zum Beispiel hohe Produktionsstandards definieren wollen. Sie sind aber anders, als sie der Gesetzgeber in Deutschland oder in anderen Ländern für die Produktion von Lebensmitteln festschreibt: Wie ist das Produkt entstanden? Wie ist der Zucker gemacht worden? Wer hat daran teilgenommen, wie geht es den Menschen, die daran gearbeitet haben? Unter welchem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, Düngemitteln, unter welchen sozialen Standards ist das zustande gekommen? Eine völlig neue Diskussion, die wir in diesem Kontext ebenfalls ganz dringend mitführen müssen.

Und für Sie persönlich, Lebensmittel, welchen Wert haben die?

Steinmann: Es gibt kein Leben ohne Lebensmittel. Insofern steht das über allem. Lebensmittel sind Voraussetzung für alles Leben, im Übrigen auch für pflanzliches Leben. Auch Pflanzen brauchen letztendlich Mittel zum Leben, Wasser, Nährstoffe. Und nichts anderes brauchen wir. Alles was wir zu uns nehmen, sind letztendlich Wasser und Nährstoffe.

Fricke: Lebensmittel sind für mich und für meine Familie von sehr großer Bedeutung. Ich esse sehr gerne und habe das Glück, dabei nicht aufzugehen wie ein Hefeklöpschen. Wichtig sind mir eigentlich hochwertige Lebensmittel. Wobei ich die Schwierigkeit habe, dass mir das Wissen dazu fehlt, zum Beispiel an der Fleischtheke die Qualität eines Fleischlappens für 99 Cent pro 100 Gramm einzuschätzen. Ich kenne meistens meine Lebensmittel noch auf vier Beinen, also beim Fleisch jedenfalls.

Auch sonst möchte ich mich bemühen, bestimmte Dinge zu vermeiden und bestimmte Dinge zu genießen. Die Betonung liegt bei mir, auch aufgrund des Alters mittlerweile, auf Genuss. Beispiel dafür: Ich versuche, keine Billigschokolade mit einem hohen Zuckeranteil zu kaufen. Ich nehme lieber eine Schokolade, die traditionell mit Kakaobutter hergestellt wurde anstatt irgendwelchen billigen Zutaten. Wie Herr Steinmann so schön sagte: Dieser Umgang und diese Diskussionen um das Lebensmittel und um den Produktionsprozess, die sind neu.

Ich vermute mal keiner von uns hat je Zeiten des Hungers erlebt. Wenn man in andere Länder, in Entwicklungsländer oder auch in die Nachrichten schaut, da ist Ernährung ein ganz existenzielles Problem. Da wird gegessen, was eben noch essbar ist. Wir leben in dem unendlichen Luxus, dass wir nur entscheiden müssen: Möchte ich dies oder ich möchte das? Wir haben nicht das Problem: Womit werde ich satt?

Ich esse auch Panhas. Und wenn jemand fragt: „Was ist das? Kenn ich nicht“, dann erkläre ich: Das ist Schweineblut mit Schweinskopf, ausgekocht, Fleisch davon und Buchweizen. Den Leuten entgleisen die Gesichtszüge und sie sagen: „Das kann man doch nicht essen.“ Die haben es nicht probiert. Die hören, das ist darin. Sagen: „Das ist fies, und sowas esse ich nicht.“ Lebensmittel werden bei uns eben nicht geschätzt.

Viele Menschen sind berufstätig und haben nicht die Zeit, zu kochen. Da ist es bequem, Fertignahrung zu essen. Diese Fertignahrung erzählt oft eine schöne Geschichte, wie gesund sie ist, wie toll sie ist, wie gut sie schmeckt. Man setzt sich aber nicht damit auseinander, was wirklich drin ist, welchen ernährungsphysiologischen Wert hat das. Deswegen und auch auf dem Hintergrund meines Genusswunsches kochen wir selber. Und wenn ich sage: Wir, dann meine ich: Nicht meine Frau bekocht mich, sondern wir beide kochen.

Nießing: Wie meine Vorredner bereits gesagt haben, sind wir in einer luxeriösen Situation, die unsere Großeltern und Eltern geschaffen haben. Wir brauchen uns keine Gedanken mehr zu machen, ob wir was zu Essen kriegen oder nicht. Demnach sieht man auch die fehlende Wertschätzung gegenüber dem Essen, die ist ja allgemein zu beklagen.

Gerade klang es schon an, die Leute haben gar keine Sorgen mehr. Das würde sich natürlich schlagartig ändern, wenn es eine Lebensmittelknappheit gebe. Dann hätten sie eine, nämlich: Sie haben Hunger. Außerdem haben sich die Lebensumstände geändert, viele Singlehaushalte sind da. Es gibt kaum noch Möglichkeiten, gemeinsam zu kochen. Und kaum einer tut es, auch mit Blick auf die Zeit. Man hat ja nun mal ein Zeitproblem, vielleicht auch ein Freizeitproblem – und Convenience ist ein Thema.

Ich glaube auch, Herr Honsel, Sie und der Lebensmittelhandel profitieren von der zusätzlich geschaffenen Vielfalt der Lebensmittel. Aber wenn ich heute sehe, dass selbst geschälte Äpfel in Kunststoff verpackt sind, dann packe ich mir an den Kopf.

Um Ihnen die Frage nach dem Wert von Lebensmitteln in meine Richtung zu beantworten, sage ich Ihnen: Ich bin ein Kulturbanause in Sachen Essen. In der Woche ist das für mich ganz klar ein notwendiges Übel. Mein Terminkalender ist ziemlich zugepackt, und ich esse irgendwas, versuche natürlich ausgewogene Ernährung, habe aber auch in deutsche und vor allem regionale Produkte hundertprozentiges Vertrauen.

Ich stelle mich also nicht hinterm Grill und auch nicht in die Küche. Dafür habe ich keine Zeit und dazu auch keine Lust. Aber wenn dann mal Zeit ist, dann kann ich auch Essen genießen in schöner Runde. Aber unter der Woche ist das wirklich ein notwendiges Übel.

Ich weiß nicht, ob ich aktuell auch ein Teil des Zeitgeistes bin.

Honsel: Glaube ich nicht, Herr Nießing … Ich habe jetzt mehrfach gehört, die Menschen wüssten den Wert der Lebensmittel nicht zu schätzen. Das stimmt nicht mehr, das ist ein Problem der mittleren Generation. Die alte Generation kennt noch schlimme Zeiten und schätzt Lebensmittel sehr. Aber die Menschen zwischen 45 und 65 Jahre, das ist die Generation, die – ohne pauschal werden zu wollen – hier und da die Werte der Lebensmittel nicht so definiert. Daran sind auch die Discounter schuld. Die haben Billig zum Trend gemacht und dabei angefangen die Qualität, Vielfalt und Geschmack dem Geld unterzuordnen. Das ist für mich eins unserer größten Übel im Zusammenhang mit Lebensmitteln.

Die neue Generation, die kommt, ist wieder eine ganz andere. Während sich unsere Generation über Kleidung und Auto definiert, definiert sich die neue Generation über Lebensmittel. Wenn Sie mit jüngeren Menschen unterwegs sind, dann ist sofort das Thema: Was esse ich? Warum esse ich was? Da können wir 100 junge Leute fragen, da haben wir 100 Meinungen. Angefangen von medizinischen Dingen, weil sie Fructose nicht vertragen – oder meinen, Fructose nicht zu vertragen – bis Gluten. Das ist ja mittlerweile eine Religion. Es gibt Leute, die haben ein medizinisches Problem mit Gluten, und es gibt Leute, die haben ein religiöses Problem damit. In der Bandbreite gibt es alles.

Ich könnte jetzt zig Beispiele bringen, wie Menschen sich definieren über Lebensmittel. Das heißt: Wir reden über ein altes Problem, ein aussterbendes Problem. Denn dass wir den Wert der Lebensmittel nicht schätzen, das stimmt nicht.

Die Generation zwischen 40 und 65 sind ja diejenigen, die in diesem Staat und in unserer Wirtschaft sagen, wo es langgeht …

Honsel: Das würde ich nicht so stehen lassen. Das sind die Ausgabefreudigsten.

Aber gucke ich in die Parlamente, gucke ich in die Manageretagen, dann ist das schon so die Altersklasse ...

Honsel: Die handeln aber anders. Das ist die Generation, die jungbleiben will. Das war schon immer so. Zum Beispiel bei Sportbekleidung. Warum stellt Adidas Produkte in Größe 62 her? Weil niemand der Sport treibt, trägt Größe 62. Warum? Weil Sie einen Imagetransfer haben. Und gerade diese Generation, zu der ich ja auch gehöre, möchte so sein wie die Jungen. Das heißt: Die Jungen setzen die Trends, und die Generation mit Geld eifert den Dingen nach, die die Jungen vorleben.

Wenn ich mir anschaue, was junge Menschen so sagen, was aus der Landwirtschaft kommt, was teilweise von Verbraucherschützern kommt: Da gibt es einen klaren Ruf in Richtung Politik. Da werden auch neue Gesetze verlangt – oder steuerliche Veränderungen. Wir haben also einen gesellschaftlichen Prozess, aber auch die Forderung, dass der Staat das regelt. Da stellt sich die Frage: Ist das der richtige Weg, dass die Politik das alleine regelt?

Steinmann: Da muss man ein paar Sondersituationen definieren. Wir haben diese Diskussion, die wir gerade auch hier schon geführt haben, über die Qualität von Lebensmittel und über die Qualität von Produktionsprozessen in Deutschland. Das ist eine intensive Diskussion. Die gibt es vielleicht noch so in Frankreich. Aber sonst in den europäischen Ländern gibt es das nirgendwo in ähnlicher Form.

Die Franzosen geben insgesamt – und das traditionell schon seit langem – mehr Geld fürs Essen aus. Bei uns entsteht dieses Qualitätsbewusstsein aber gerade neu. Daher kommen immer mehr Forderungen auch an den Staat. Aus der Verbraucherschaft, aus dem Handel, aus der lebensmittelverarbeitenden Industrie. Es sind die Verbraucher, die Veränderungen fordern von der Lebensmittelherstellung. Es ist der Handel, der Veränderungen möchte, weil er über besondere Definition der Produktion sich Marktvorteile verschaffen will. Das ist alles legitim – und bei der Verarbeitung, am Schlachthof und in der Molkerei ist es ja ähnlich. Damit haben wir also drei treibende Bereiche, die Veränderungen fordern.

In Deutschland ist alles geregelt, natürlich auch die Produktion von Lebensmitteln. Da kommen Forderungen an die Politik, andere Wege herbeizuführen. Und jetzt komme ich zu meiner Branche: Natürlich haben wir als Landwirtschaft kein Problem mit diesen Forderungen, wir erfüllen das gerne.

Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass wir als Urproduktion am Ende nur Lebensmittel herstellen können, die im Einklang stehen mit den Verbraucherwünschen. Es macht ja auch keinen Sinn, zum Beispiel ein Auto zu bauen, das keiner haben will, oder ein Hemd zu nähen, das keiner anziehen will. Also macht es auch keinen Sinn, ein Lebensmittel zu produzieren, was keiner essen will.

Jetzt kommen wir zu den Niederungen des Marktes, zu dem hässlichen Teil des Lebens. Da geht es um wirtschaftliche Existenzen. Ich bin eben nicht nur der freundliche Bauer, der Lebensmittel erzeugt, sondern ich muss da auch von leben. Das heißt, ich muss Geld verdienen. Wenn ich nun bestimmte Auflagen bei meinen Produktionsprozessen habe, die höhere Kosten verursachen, aber meine Kollegen zum Beispiel in den Niederlanden oder – wenn wir beim Schweinefleisch sind – in Spanien haben diese nicht, dann bin ich in einem ganz erheblichen Wettbewerbsnachteil.  Wenn also die Politik nicht zulassen will, dass die Produktion von Lebensmitteln aus Deutschland verschwindet, dann muss sie genau bei dieser Frage etwas regeln.

Da sind wir gerade in einem ganz hoch aktuellen spannenden Entwicklungsprozess. Ich bin selber gespannt, wie der am Ende ausgeht, und bringe mich da ein, so gut ich kann. Aber das wird noch ein paar Monate Fingerhakeln bedeuten. Die Diskussion ist in vollem Gange, …

Aber noch einmal: Die Landwirtschaft ist veränderungsbereit. Am Ende muss sie nach der Veränderung der Produktionsprozesse auch noch davon leben können.

Nießing: Ich möchte gerne auf Ihre interessante These, Herr Honsel, eingehen, in unserer Generation sei keine Wertschätzung für Lebensmittel, die jungen Leute jedoch würden sich über das Essen definieren. Das sehe ich auch so. Das betrifft auch den Hinweis von Friedrich Steinmann: Er hat das nett umschrieben, dass die Landwirte auch davon leben müssen. Nur: Auch die jungen Leute greifen wie die Alten zu dem günstigeren Lebensmittel! Man liest es, man sieht es, die definieren sich dann letztendlich doch über den Preis – und wenn Sie mir jetzt sagen, das machen die jungen Leute nicht, dann habe ich heute etwas gelernt. Im Grunde trifft es 90, 95 Prozent der Verbraucher, die vor dem Markt sagen: „Ja, klar kaufe ich Bio“ und dann guckst Du anschließend in den Einkaufskorb, dann ist da ganz, ganz wenig Bio drin. Das meinte ich vorhin mit der Wertschätzung, denn diese Wertschätzung findet zwischen Daumen und Zeigefinger statt – und nicht für Lebensmittel. Zumindest nicht für Deutschland. Und ich bin auch bei Friedrich Steinmann, der sagt, in Frankreich wird das Essen ganz anders gelebt. Das ist dort eine Kultur! Die Franzosen sitzen bis nachts um elf und essen! Das findet man ja hier in Deutschland recht wenig.

Und kann Politik, können Forderungen an die Politik etwas daran ändern?

Honsel: Wenn die Politik die richtige Einstellung hat, kann sie auch was ändern. Es ist natürlich für die Politik sehr, sehr schwierig, und die Meinungen in den Parteien sind auch farblich unterschiedlich ausgeprägt. Gestern wurde zum Beispiel Herr Harbeck gefragt, wie er sich zukünftig Landwirtschaft vorstellt. Ob das der richtige Weg ist, wage ich wirklich zu bezweifeln.

Aber jetzt habe ich Ihre Frage noch nicht richtig beantwortet. Ich selber habe wenig Vertrauen in Richtung Politik, weil sie dem Mainstream hinterherlaufen muss. Und Mainstream ist immer die größte Wählerschaft. Dabei muss sich Politik auf wissenschaftlich basierten Daten begründen und nicht auf Glaubensfragen. Das ist sicherlich eine Forderung!

Fricke: Ich denke, wir haben jetzt hier einige wichtige Aspekte. Friedrich Steinman sagt, der Landwirt muss davon leben. Herr Honsel sagt, Lebensmittel haben bei der jüngeren Generation wieder eine andere Bedeutung. Wir müssen aber auch sehen, wie diese Lebensmittel produziert werden.

Der Landwirt lebt von seinem Boden, von der Natur. Und auch der Landwirt möchte eigentlich die Natur schätzen und schützen. Und genau das wird nicht immer unterstützt. Das habe ich im letzten Jahr lernen müssen. Beim Stadt- und Land-Projekt der Natur- und Umweltakademie hat man uns vier Milchviehbetriebe gezeigt, alle sehr unterschiedlich. Ich hatte mir das so nicht vorstellen können, und ich glaube, das ist ein Problem der Landwirtschaft. Sie macht den Leuten nicht klar, wie sie wirklich produziert. Man muss sich das angucken, um die Landwirte zu verstehen!

Die Kinder haben im Kindergarten und an der Grundschule vielfach so eine Märchenlandwirtschaft vor sich. Da übernehmen sie unheimlich viel von. Vor unserer Gesprächsrunde hier haben wir schon über Fleischfabriken gesprochen, und dass das süße rosa Schweinchen plötzlich abgestochen wird und als Schnitzel auf den Tisch kommt. Das möchte ja keiner wissen. Aber das muss irgendwo kommuniziert werden.

Kann Politik das steuern?

Fricke: Das kann Politik steuern! Politik kann aber nur Rahmenbedingungen schaffen, und alle anderen Beteiligten müssen sich irgendwo zusammenfinden. Zu diesen anderen Beteiligten gehört auch der Naturschutz. Ich finde es ganz wichtig, dass wir uns als Naturschützer von irgendwelchen verrückten Tierschützern abgrenzen.

Wenn Sie heute egal wo im Internet, ob das von Peta ist oder sonst irgendwem, einen Bericht über Schweinezucht sehen: Die ist ja nur furchtbar, da sind die armen Zuchtsäue auf dem Boden festgedübelt, mit dicken Stahlgittern und sonst was. Ich war vor einiger Zeit noch bei einem Schweineproduzenten, also im Stall eines Bauern, der von der Zuchtsau über die kleinen Ferkel bis zum schlachtreifen Tier alles auf seinem Hof selber produziert. Da ist so ein kleines Ferkel, dann ist da eine 180, 200 Kilo schwere Zuchtsau. Und wenn Sie auf die Anzeigen gucken: „geboren am“, „so und so viele Ferkel“, „tote Ferkel“, „Ursache erdrückt“. Bei den meisten ist die Todesursache Erdrücken.

Auf so etwas schauen viele Verbraucher nun mit menschlichem Blick, versetzen sich in die Rolle des Tieres – ein ganz großes Defizit, das nur mit Kommunikation ausgeglichen werden kann. Gleichzeitig muss der Staat Rahmenbedingungen setzen und auch einhalten. Wenn Sie sich einmal angucken, dass die EU gegen die Bundesrepublik vorgeht, weil der Gülleeintrag der Landwirtschaft zu hoch ist und das unser Grundwasser gefährdet, dann muss etwas getan werden. Ich könnte als orthodoxer Umweltschützer sagen: Die Bauern gießen Ihre Schweinescheiße auf die Äcker und wir kriegen die morgens in den Kaffee. Ich könnte natürlich auch sagen: Der Landwirt muss seine Felder düngen, und er versucht es in einem Wirtschaftskreislauf zu machen – indem er seinen eigenen Dünger auf seine Felder ausbringt.

Man müsste das vielleicht einmal überdenken. Es sind gewisse wissenschaftliche Grundsätze da: So und so viel geht, alles Mehr wird zum Problem. Und wir müssen dieses Problem lösen, weil wir im Prinzip die gleichen Wünsche haben. Der Naturschützer aus anderen Gründen als der Landwirt: Der Landwirt muss mit dem Boden und der Umwelt arbeiten, der Naturschützer möchte sie erhalten, aus welchen Gründen auch immer. Wir haben etwas andere Perspektiven auf den gleichen Punkt, und da ist mehr Zusammenarbeit gefordert. Nicht nur der Ruf nach Politik! Sondern wir müssen mit dem Landwirt zusammenarbeiten. Wir müssen aber auch Verständnis entwickeln für einen Lebensmittelhändler, der ja auch ganz fürchterlich unter Druck steht, der Regeln zu befolgen hat von seinem lebensmittelliebenden Mutterkonzern, der ihn beliefert.

Honsel: Edeka ist kein Konzern. Das ist eine Genossenschaft.

Fricke: Sie merken sofort, in diesem Bereich bin ich überhaupt nicht fit. Sie entscheiden also selbst, was Sie bestellen und was Sie wie und wo präsentieren? Es wird vielfach gesagt, wenn der Brauer sein Markenbier im Getränkemarkt verkaufen will, dann muss er auch etwas dafür tun, dass das an einem prominenten Platz steht. Das sind alles so Dinge im Lebensmittelhandel, da muss man mal offen drüber reden. Das kann man nicht mit jedem, aber in bestimmten Verbänden sollte man das tun.

Und in dieser Runde können Sie das ja ….

Honsel: Sie meinen jetzt die Wettbewerbsregeln?

Fricke: Die Wettbewerbsregeln untereinander, ich denke eher die Beziehungen zwischen Ihrer Genossenschaft …

Steinmann: Wir haben bei dem Thema „Wert von Lebensmittel“ auch ein Kommunikationsproblem in der Gesellschaft. Ich kann das schnell festmachen an den Beispielen, die Sie gebracht haben zum Thema Ferkelerdrücken, Herr Fricke. Da haben wir jetzt andere Regeln gekriegt. Hat übrigens nicht die Politik gemacht, sondern hat ursprünglich die Justiz ausgelöst, indem also das bisherige Verfahren der Ferkelproduktion beklagt worden ist. Es wurde als nicht tierschutzkonform gekennzeichnet, und nun hat die Politik reagieren müssen. Heute haben wir das Problem, dass die geänderte Form der Produktion eine höhere Verlustrate produziert, als das was wir vorher hatten. Es ist kein gewünschtes Ergebnis, das gebe ich zu, zeigt aber sehr deutlich die Diskrepanz von Wahrheit und Wahrnehmung in diesem Fall auf.

Die Wahrheit ist: Das System, das wir mit diesen Sauenschutzkäfigen hatten, war so gemacht und über viele Jahre entwickelt, das möglichst wenig Ferkel totgelegen wurden. Jetzt räumt man der Sau mehr Platz ein. Übrigens genau so viel Platz, dass sie sich gerade umdrehen kann. Manche können das auch nicht und verenden bei dem Versuch, sich umzudrehen. In der Natur haben wir deutlich mehr Verluste, das sieht man bei den Wildschweinen.

Das nächste Thema: Boden und Nährstoffe. Wir haben jetzt schon seit einigen Jahren eine ziemliche Umkehr bei den Nitratwerten im Grundwasser. Herr Honsel sitzt oder liegt mit einem Markt mitten im Wasserschutzgebiet Dorsten-Holsterhausen-Üftermark. Er kennt das Thema. Und dieses Thema diskutieren wir auch in der Branche. Stefan, Du weißt das auch, du kennst deine Umsatzzahlen bei Mineraldünger, und zwar nicht täglich, sondern stündlich. Also: Wir haben hier einen sehr schönen Umkehrtrend! Wir haben mittlerweile viele Grundwasserkörper grün, also unterhalb der Höchstwerte von 50 Milligramm Nitrat! Das Problem ist in diesem Fall bei der Politik, die nur alle sechs Jahre anschaut, was Sache ist. Also basiert das, was heute an Politik gemacht wird, auf Erkenntnissen, die lange hinter uns liegen.

Ich frage mich, welche Branche kann sich solchen Blödsinn leisten? Das kann sich nur Politik leisten, so völlig am Ziel vorbei Entscheidungen zu treffen. Aber das ist ein Spezialproblem, das will ich jetzt gar nicht groß besprechen.

Aber trotzdem: Wir Landwirte kommunizieren über diese Themen zu wenig. Sonst hätten wir beim Tierschutz und der Haltungsverordnung wirklich vernünftigere Regeln als die, die wir jetzt haben. Man muss sich damit wirklich intensiver auseinandersetzen. Obwohl wir vermeintlich gut kommunizieren können, da ja alle mindestens ein Handy in der Tasche haben, nutzen wir diese Möglichkeit nicht wirklich für eine saubere inhaltliche Kommunikation, das ist unser Problem.

Honsel: Ich würde gerne noch einmal zu der rechtlichen Geschichte etwas sagen. Was mich an dieser Situation stört, betrifft nicht nur Lebensmittel. Wir dürfen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, und da gibt es ganze politische Gruppierungen, die das aus dem Auge verloren haben. Wir haben eine soziale Marktwirtschaft, die dafür gesorgt hat, dass wir ausreichend Lebensmittel haben, ausreichend andere Produkte haben, das Meiste für jeden bezahlbar. Wenn wir jetzt anfangen da einzugreifen und versuchen, marktwirtschaftliche Regeln abzuschaffen, um irgendwelche Ziele zu erreichen, dann schütten wir das Kind mit dem Bade aus.

Aufgabe der Politik ist es ausschließlich, im gesellschaftlichen Konsens Leitplanken aufzustellen. Aufgabe der Politik ist es nicht, Märkte direkt zu beeinflussen. Wenn man mal wissen möchte, was passiert, wen Politik versucht, in die Marktwirtschaft einzugreifen – also richtig starke Eingriffe, wie Preise vorzuschreiben – dann brauchen wir nur nach Israel gehen. Die haben keine Butter mehr im Supermarkt. Durch eine katastrophale Vorschrift! Man hat versucht, für koschere Butter Mindestpreise für Landwirte durchzusetzen. Hinzu kamen Maximalpreise für Supermärkte und Zölle auf Importbutter. Man ist angefangen mit irgendwas und kam aus der Nummer nicht mehr raus. Alle Marktteilnehmer reagieren und jetzt steht der Verbraucher vor dem leeren Regal.

Aufgabe der Politik ist es, Leitplanken zu setzen. Wenn wir im gesellschaftlichen Konsens höheren Tierschutz haben wollen, dann ist das so eine Leitplanke. Wir müssen dann aber ein bisschen globaler denken, weil der deutsche Verbraucher zumindest nicht in der Masse bisher nicht bereit ist, diesen Mehrwert zu bezahlen. Sonst bräuchten wir gar keinen Eingriff.

Wir haben ja andere Dinge, wo der Verbraucher bereit ist. Warum bezahlt er für eine Dose Redbull das Sieben- oder Achtfache wie für einen Liter Milch? Das ist so, weil er dafür bereit ist, das ist ja ganz einfach. Der Kunde möchte das Produkt Redbull haben und ist bereit den Preis zu zahlen. Redbull ist erheblich einfacher herzustellen als ein Liter Milch. Aber da müssen wir uns nicht drüber beklagen. Und wenn wir jetzt sagen, wir möchten Leitplanken im Tierschutz haben, sind wir sofort auf internationaler Ebene. Im Moment gibt es aber nur drei Länder, die überhaupt dieses Thema haben. Nämlich Holland, Frankreich und Deutschland, den Rest interessiert das überhaupt nicht. Als Beispiel: Käfighaltung bei Hühnern. Die haben wir überall. Wir wollen es nicht in Deutschland. Also werden wir den Verbraucher schon erklären müssen: Du musst mehr Geld ausgeben für Dein Ei. Und supergeil: Bei Eiern ist uns das gelungen, bei Bier übrigens auch. Der Verbraucher ist bereit.

Steinmann: Aber nur beim Frühstücksei.

Herr Honsel: Richtig, nicht in der Industrieware. Aber wir können so was nicht gesetzlich-national regeln. Das ist ein Irrglaube. Wir können aber wie bei vielen anderen Dingen auch Kampagnen machen um den Verbraucher zu sagen: Hör einmal, das läuft so und so – willst Du das? Und wenn Du das nicht willst, dann musst Du Dich anders verhalten. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass 47 Prozent der Lebensmittel beim Discounter gekauft werden. 70 Prozent der Bananen werden im Discount gekauft, das gehört auch zur Wahrheit. Und die Wahrheit findet nicht abends im Fernsehen statt, sondern die Wahrheit findet an den Supermarktkassen statt. Wofür macht der Verbraucher das Portemonnaie auf? Denn Diskussionen im nebulösen Raum interessiert nicht, wenn der Kunde nicht das Portemonnaie aufmacht für dieses Produkt.

Wenn ich weiterhin den Apfel nur kaufe, wenn der super perfekt ist, und das Fleisch nur dann, wenn es so verarbeitet ist, dass ich es nicht als totes Tier erkenne – bin ich dann als Verbraucher überhaupt bereit für solche Fragen und solche Botschaften? Oder braucht es noch zehn Jahre? Wie sehen Sie die Entwicklung der Landwirtschaft, der Lebensmittelbranche, des Handels – und vor allem den Wert der Lebensmittel in unserer Gesellschaft?

Steinmann: Ich kann auch nicht in die Glaskugel schauen. Das heißt, ich kann da herein gucken, aber ich sehe da nichts. Denn alles hängt natürlich davon ab, wie die gesamtwirtschaftliche Entwicklung sein wird. Wir haben so viel Themen unterwegs, die am Ende darauf Einfluss nehmen können. Ich will jetzt gar nicht irgendein Horrorgespenst hinmalen, aber wir haben das Thema Corona noch nicht abgearbeitet. Das ist noch virulent. Und wir haben an verschiedenen Punkten unseren Globus fürchterlich schlimme Menschen sitzen, von denen wir gar nicht wissen, auf welchen Knopf die morgen oder übermorgen vielleicht mal drücken. Ob wir den Trump in Washington nehmen oder den Putin in Moskau oder den Erdogan in Istanbul: Das sind Menschen, die können unter Umständen mit ganz fatalen Entscheidungen ganz wesentlich Einfluss nehmen auf unser Leben und dann auch auf die Frage, welchen Wert Lebensmittel haben.

Entwickeln wir uns den eher in Richtung Frankreich, also hin zu mehr Wertschätzung oder auch höhere Ausgaben für Lebensmittel? Oder gehen wir den Weg „Hauptsache viel, satt, billig“?

Steinmann: Wenn wir jetzt die Frage konditionieren unter den derzeitigen Rahmenbedingungen, dann sehe ich eindeutig einen Trend hin zu mehr Bioproduktion, zu mehr Tierwohl im Bereich der tierischen Lebensmittel. Das geben auch die Zahlen her. Die Freizeit nimmt zu, die Menschen arbeiten immer weniger, und da haben sie auch mehr Zeit zu kochen. Ausnahme: Stefan Nießing.

(Alle lachen.)

Honsel: Eins haben wir noch vergessen – mehr Vielfalt.

Steinmann: Und mehr Vielfalt. Da kommen wir in Deutschland aus einer sehr überschaubaren Produktpalette. Deswegen ist das auch so wichtig, was Herr Honsel vorhin gesagt hat: Wir haben eine Entwicklung in einer unheimlichen Vielfalt. Ob das immer vernünftig ist – Beispiel Redbull – weiß ich nicht.

Ich mache das einmal fest am Beispiel sogenannter Milchen. Es gibt heute Flüssigkeiten, die den Namen Milch tragen, obwohl sie mit Milch überhaupt nichts zu tun haben. Sie haben lediglich eine ähnliche Farbe und Konsistenz, erinnern mich aber eher an verdorbene Milch, auch optisch. Vorherige Tage gab es in einem öffentlich-rechtlichen Sender einen Bericht über Hafermilch, Mandelmilch. Die ist vier- bis fünfmal so teuer wie Kuhmilch, aber auch da entsteht Vielfalt. Woher kommt das? Wenn ich glaube, dass ich eine Laktoseintoleranz habe, auch wenn mein Arzt die nicht festgestellt hat, dann glaube ich auch, dass ich diese Produktvielfalt an Milchen brauche. Denn nur damit kann ich meine ganzen individuellen Bedürfnisse befriedigen.

Deshalb: Wir werden aus vielen Gründen mehr Vielfalt kriegen und auch mehr auf diese Dinge achten. Deswegen sage ich auch heute als Erzeuger, dass wir auf diesen Trend Rücksicht nehmen müssen, sonst produzieren wir irgendwann am Markt vorbei.

Dies ist aber die Entwicklung in den Ländern, über die wir gerade reden: Deutschland, auch Frankreich und Holland. Was aber unseren Mengenanteil an der globalen Lebensmittelerzeugung angeht, ist das in der Tat nur ein Fliegenschiss. Wenn wir davon ausgehen, dass wir 2050 zehn Milliarden Menschen zu ernähren versuchen, dann werden in den Schwellenländern die Menschen von heute diese Frage nach dem Wert der Lebensmittel in zehn Jahren völlig anders beurteilen als wir. Aber noch einmal: Wenn nichts Großes passiert auf unserer Halbkugel, dann werden wir in unserer hochzivilisierten Welt – ob das immer so den Namen verdient, weiß ich nicht – noch deutliche Veränderungen haben zu mehr Individualität und zu mehr subjektivem Nutzen bei dem einzelnen Produkt. Was übrigens mit dem Produktwert nicht immer viel zu tun hat.

Fricke: Wir müssen ein bisschen den Blick auf den Klimawandel werfen. Der wird in irgendeiner Form kommen. Wir haben schon einen Vorgeschmack davon in den letzten beiden Landwirtschaftssaisonen bekommen. Das ist für viele problematisch gelaufen. Ich glaube bei uns hier in der Region noch gar nicht so sehr. Aber wenn man sich einmal die Dürrekarten anguckt, und Sie gucken in den Südosten nach Sachsen: Da ist heute noch der Dürreatlas ganz in Rot, während er an den Küsten schon in Grün gezeichnet ist. Dass heißt, was in zehn Jahren sein wird, wird ganz massiv auch vom Klimawandel beeinflusst – ob von Menschen gemacht oder nicht, spielt keine Rolle.

Blicke in die Zukunft sind immer problematisch. Wenn man sich allein einmal anguckt, was vor 30 Jahren über das Jahr 2020 gesagt wurde. Es ist teilweise lustig zu lesen, stimmt aber nur ansatzweise und auch nur mit manchen Dingen überein.

Über die Vergangenheit wissen wir aber einiges. Man hat früher unterschiedlich gegessen, und der Klerus hat im Mittelalter den Biber zum Fisch erklärt, weil er ja einen schuppigen Schwanz hatte und damit wurde er zur Fastenspeise. Auch der Adel aß ja ganz anders als das arme Volk, das morgens, mittags, abends, sieben Mal die Woche und 360 Tage im Jahr Haferbrei oder Gerstenbrei gegessen hat. Das heißt, es ist auch eine Frage des sozialen Unterschiedes, wie der Wert von Lebensmitteln sich entwickelt. Und wenn wir da nicht sehr aufpassen, wird die Gesellschaft immer mehr auseinanderdriften. Damit wird zwar die Vielfalt des Angebots insgesamt gefördert, ob das allerdings für eine Gesellschaft für den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft immer förderlich ist, das steht noch auf einem ganz anderen Blatt.

Honsel: Ich will das nicht so pessimistisch sehen. Und wir müssen wissen, was in zehn Jahren ist, weil unsere Investitionszyklen bei uns oft über 30 Jahre gehen, wenn wir einen Laden bauen. Ladeneinrichtungen planen wir für zehn bis zwölf Jahre. Das heißt, wenn mir einer sagt, ich weiß nicht, was in zehn Jahren ist, dann macht er sich besser nicht im Handel selbständig.

Die grobe Richtung ist heute zu erkennen. Zukunft verändert sich nie abrupt, Zukunft verändert sich langsam. Wenn man sich die Vorträge von Zukunftsforschern anhört, ist es eigentlich ganz klar, wo es hingeht. Zwei große Themen bei Lebensmitteln, das erste ist Vielfalt und das zweite ist Regionalität. Das sind die beiden großen Themen. Es ist nicht Bio. Dinge wie Klimawandel, wie Demokratie, wie Flüchtlingsströme, die alle auf uns zukommen: Megaviele politische Themen spielen da rein, aber lange nicht so, wie wir es heute glauben. Denn Trends werden immer nur von der Menge der Menschen gemacht, und keine Politik der Welt hat es bisher geschafft, den Willen der Menschen zu verändern.

Auch die großen Ideologen nicht. Selbst die größten Diktatoren sind daran gescheitert, weil die Menschen frei sein wollen. Und da wird auch heute der ein oder andere Politiker dran scheitern, wenn er glaubt, er kann durch Verbote den Lebensmittelkonsum beeinflussen. Das kann man vergessen, das geht nicht. Man kann immer nur das machen, was die Mehrheit der Menschen will. Alles andere ist Ideologie.

Nein, wir müssen die Menschen überzeugen. Und wenn wir die Menschen nicht überzeugen, nützt das beste Gesetz nichts, weil dann verstoßen die Menschen gegen das Gesetz. Prohibition USA, nur ein Beispiel: Wir können den Menschen nicht verbieten Alkohol zu trinken, wenn sie das wollen. Denn wenn sie es nicht wollen, dann haben wir auch kein Problem mit Alkohol.

Das Gleiche auch, wenn jemand vegan leben möchte oder Vegetarier ist. Warum reden wir so viel darüber? Wir reden ja auch nicht darüber, wenn einer keine Ananas mag. Er soll dann keine Ananas essen. Wenn er nämlich glaubt, es sei ungesund, ist das seine Sache. Dann müssen wir nicht drüber diskutieren. Denn wir sind ein freies Land, er soll es sein lassen. Wenn er aber meint, er muss allen Leuten verbieten, Ananas zu essen, dann ist er bei mir an der falschen Stelle. Und wenn einer kein Fleisch essen möchte, warum auch immer, soll er es lassen.

Meine Aufgabe ist es, die Vielzahl der Menschen zu bedienen. Und es passiert ja immer wieder, dass ich in meinem Laden mit unseren 26.000 Artikeln einen Kunden vor mir habe, der sagt: „Herr Honsel, ich weiß nicht mehr was ich essen soll.“ Und das passiert bald täglich.

Steinmann: Das sagen die Frauen vor dem allergrößten Kleiderschrank auch.

Honsel: Dann versuche ich dem Kunden immer zu sagen: Das ist nicht gut! Entschließen Sie sich, was Sie essen möchten, und lassen Sie sich nicht verrückt machen. Beschließen Sie, wie Sie leben wollen, ob das Ihr CO2-Fußabdruck ist, ob das Ihre Gesundheit ist, ob das die Gesundheit Ihrer Kinder ist. Das ist Ihre Entscheidung, wir sind in einem freien Land. Und dann entscheiden Sie, ob Sie Alkohol trinken wollen oder nicht. Und wenn Sie sagen, Sie möchten 100 Jahre alt werden, glaube aber, dass Sie nicht 100 Jahre alt werden, wenn Sie Alkohol trinken, also: Dann lassen Sie es sein.

Ich glaube, relativ deutlich die nächsten zehn Jahre vorhersagen zu können. Sonst hätte ich nicht so viel investiert in diese Form der Lebensmittelmärkte, wie ich sie heute betreibe. Sehen Sie zum Beispiel ein Weinbauer oder noch stärker ein Förster: Wie lange planen die heute in die Zukunft? Die müssen heute wissen, welche Rebe baue ich an? Welchen Wein will ich morgen produzieren? Um dann viele Jahre später zu ernten, die Trauben zu mischen und einen schönen Cuvee herzustellen.

Nießing: Das sind mal ganz andere Aspekte. Und ich höre auch gerne, dass Sie sagen, Sie sind für die nächsten zehn Jahre sattelfest. Ich glaube aber, dass wir für die Landwirtschaft im Allgemeinen keine relativ sichere Prognose über die nächsten zehn Jahre abgeben können.

Im Bereich Schwein können wir aber aktuell tatsächlich etwas in die Zukunft sehen. Warum ist das so? Aktuell ist diese längerfristige Planbarkeit durch die Afrikanische Schweinepest und das Coronavirus begründet. Denn wir bedienen als Exportnation im großen Stil China, und im noch größeren Stil bedienen wir jetzt China, weil die mit den Schweinen ein Problem haben. Die haben von ihren 400 Millionen Schweinen die Hälfte entsorgt, und aus dieser Notsituation steigt der Bedarf importierten Proteinen, an fleischlichen Proteinen. Dadurch hatten die Exportländer und dabei hauptsächlich Deutschland schon jetzt eine Planungssicherheit von vier bis fünf Jahren – und dabei Schweinepreise garantiert größer als zwei Euro das Kilo.

Jetzt kommt hinzu, dass sich durch das Coronavirus diese vier, fünf Jahre auf wahrscheinlich sieben, acht Jahre verlängern. So lange wird es dauern, bis diese Dinge alle mal wieder sortiert sind. Da bin ich bei einer Planungssicherheit, aber die Planungssicherheit ist nur entstanden, weil die Chinesen ein Problem haben. Aber deswegen habe ich immer noch überhaupt keine Ahnung, wo die Reise der Landwirtschaft insgesamt hingeht.

Das hängt natürlich ab von den gerade genannten Punkten, auch von den politischen Leitplanken. Da kann sich sofort die Farbe ändern. Wir wissen auch nicht, wie der kommende Sommer wird. Da bin ich todsicher bei Ihnen. Ich weiß nur eines: Wenn der nächste Sommer ähnlich trocken wird wie der letzte, werden eine ganze Menge Milchviehhalter aufgeben, Bullenmäster vor allen Dingen. Weil kein Grundfutter mehr da ist beziehungsweise kein für die Milchviehhalter bezahlbares Grundfutter. Also das ist relativ sicher, aber ich maße mir nicht an, auch nur die nächsten drei Jahre abzusehen, wo die Reise hingeht. Das hängt jetzt wirklich von allen von Ihnen benannten Dinge ab.

Ich höre aber gerne von Ihnen, Herr Honsel, dass Sie sagen: Gut gegessen wird immer. Klar, dass Sie das so optimistisch sehen. Dürfen Sie auch für Ihren Bereich! Nur wenn Sie mich fragen im Bereich Landwirtschaft, dann mache ich da ein großes Fragezeichen.

Honsel: Da muss man auch von der Industrie lernen. Wenn ich Mono-Produzent bin, ich produziere zum Beispiel nur Gurken, und da kommt so ein komisches Bakterium, und keiner will mehr Gurken haben, dann habe ich ein Problem. Das sind kurzfristige Erscheinungen, die für den einzelnen Landwirt oder Einzelhändler wirtschaftlich vernichtend sein können. Das muss man ganz klar sehen. Da bin ich besser unterwegs, wenn ich zwei, drei Produkte oder mehr habe …

Steinmann: 26 0000!

(Alle lachen.)

Honsel: Nein, nein, ich meine jetzt im Produktionsbereich. Das ist ein unternehmerisches Risiko, wenn ich Mono-Produzent bin. Aber solange es gut geht, produziere ich preiswerter, produziere ich besser, weil ich absoluter Fachmann bin, wenn ich Mono-Gurken mache. Da ist die Frage: Stelle ich mich da ein bisschen breiter auf? Ich als Händler habe es da leicht, wenn die Leute keine Gurken kaufen wollen, verkaufe ich halt Paprika. Aber wenn es aber ein Riesentrend gibt, zum Beispiel weg vom stationären Handel hin zum Internet, dann habe ich das gleiche Problem.

Es ist bei uns so, dass bei uns alles leichter ist, weil immer gegessen wird. Aber wenn eine neue Vertriebsform kommt, haben wir es auch schwer. Als der Discount kam und 47 Prozent des Marktes eingenommen hat, sind dreiviertel aller Einzelhändler pleite gegangen. So einfach ist das. Es ist ja nicht so, als ob wir da in einem goldenen Kasten leben. Wir haben ganz schwere Zeiten hinter uns als Lebensmitteleinzelhändler.

In unserem Kopf ist der Landwirt tatsächlich noch einer, der mit etwas dreckiger Kleidung und der Forke in der Hand über seinen Hof geht, mal da in den Stall hereinguckt und dort in die Scheune. Dann setzt er sich auf seinen Trecker und fährt aufs Feld, ackert ein bisschen. Mittags kommt er nach Hause, isst schön was vom Selbstproduzierten …

Fricke: Panhas, zum Beispiel!

(Alle lachen.)

… fährt wieder raus und macht dann wieder idyllische familiäre Landwirtschaftswelt wie in den Kinderbüchern. Dabei gibt es längst Melkroboter, GPS-gesteuerte Düngung und vor allem viel betriebswirtschaftliches Know-how auf unseren Höfen. Was denken Sie, stellen sich diese Agrarexperten von heute Morgen eher breit auf oder werden sie noch stärker zu Spezialisten? Werden die Landwirte von morgen alle große Agrarunternehmer mit Angestellten sein? Oder haben wir auch in zehn Jahren noch bäuerliche Familienbetriebe?

Nießing: Danke für die Frage. Ich würde bei den Bilderbüchern anfangen. Selbst in den Bilderbüchern ist die Landwirtschaft heute nicht so dargestellt, wie Sie sie gerade beschreiben. Sondern sehr einseitig auch in Richtung Bio ausgerichtet. Und wenn es um konventionelle Landwirtschaft geht, wird es mehr oder weniger vernichtend. Auch in den Schulbüchern der Sekundarstufe eins und zwei über die konventionelle Landwirtschaft ist das so. Da versuchen wir aber gerade, Einfluss zu nehmen.

Fricke: Was für Lehrer haben damit ein Problem?

Nießing: Ich habe gerade, auch von Ihnen gehört, dass Sie mit „Stadt und Land“ unterwegs sind. Zusammen mit „Stadt und Land“ haben wir begonnen, uns ein bisschen einzumischen, damit man eine gewisse Neutralität in Kinder- und Schulbüchern darstellt. Nur Neutralität! Die Kinder sollen sich ja selbst ein Bild verschaffen, ob sie Richtung vegan oder Bio, oder weiß der Teufel was unterwegs sind. Es kann ja jeder machen, was er will.

Zur Frage: Die Landwirtschaft, finde ich, steht an einer Kreuzung. Das ist aktuell, sehr aktuell! Und sie muss sich entscheiden, wo sie zukünftig sein wird. Die Problematik ist die, dass die Landwirtschaft über die letzten Jahre und Jahrzehnte vergessen hat, den Verbraucher mitzunehmen und darüber zu berichten, wie Landwirtschaft heute funktioniert. Wir sind in der Landwirtschaft schon weitaus digitaler, als fast jeder andere Wirtschaftszweig. Wir sind wirklich weitaus digitaler – und dies wird auch ein Thema sein in den ergänzenden Schulbuchunterlagen.

Ich glaube, wenn es die Landwirtschaft jetzt nicht schafft, sich Gehör zu verschaffen und nicht darüber berichtet, wie es tatsächlich ist, dann wird es nur noch wenige Große geben anstatt der gewünschten Vielzahl von bäuerlichen Betrieben. Das ist meine Meinung.

Honsel: Wir sind Freunde der Landwirtschaft. Deswegen stört mich diese Diskussion Handel gegen Landwirtschaft. Wir fahren mit unseren Kunden und unseren Mitarbeitern auf die Bauernhöfe, damit sie einmal einen Schweinestall sehen. Dann sollen die Kunden entscheiden: Ist das, wie die Tiere dort gehalten werden, für mich akzeptabel? Und ich kann Ihnen sagen: Die Mehrheit sagt, das ist ja gar nicht so, diese ganzen Bilder aus dem Internet. Die meisten Bilder, die im Internet kursieren, kommen ja gar nicht aus Deutschland.

Wir kaufen ja auch regional ein, bei dem einem oder anderen Landwirt. Wir haben eigene Honsel-Hühner mit einem Landwirt zusammen. Auf der Verpackung steht das Bild vom Landwirt, von seinem Kind und von meiner Tochter. Das sind Eier Größe L in Bioqualität, biozertifiziert. Das ist unser teuerstes Ei, und es funktioniert.

Steinmann: Die Diskussion zeigt, dass Lebensmittel zu produzieren, aufzubereiten und zu verkaufen letztendlich ein knallhartes Geschäft bleibt. Wir haben gerade zwei Handelsstufen in der streitigen Diskussion erlebt, und auch das wird so bleiben. Ich kann tatsächlich nicht weit in die Zukunft gucken, aber trotzdem werde ich als Unternehmer natürlich Entscheidungen und auch Investitionsentscheidungen treffen, weil ich Annahmen habe. Wissen habe ich nicht über die Entwicklung der Zukunft. Ich kann nur von gewissen Entwicklungen ausgehen, glauben, dass sie eintreffen – und darauf fokussiere ich mich mit meinen Investitionen. Ob das am Ende so passt oder nicht, das wird die Zukunft zeigen. Und die eine oder andere Bank wird es vielleicht auch merken, wenn es nicht funktioniert hat, weil Investitionen an der Entwicklung vorbeigetätigt worden sind.

Das unternehmerische Risiko, das wird bleiben. Aber eins wird sich nicht verändern im Verhältnis zu heute: Die Menschen werden essen. Weil sie jeden Tag wieder Hunger haben. Und das ist eine gute Botschaft. Das sage ich mir selber immer wieder, wenn ich mal zweifele. Und man muss zweifeln, um sein eigenes Geschäftsmodell auch mal zu überprüfen.

Dann frage ich weiter, wenn das so ist, dass die Menschen jeden Tag von Neuem wieder Hunger haben, auf welche Produkte fokussiert sich dann der Hunger? Da hat Herr Honsel schon ein paar Antworten gegeben. Sie sagen Bio wird nicht so eine Rolle spielen. Ich bin davon persönlich auch nicht groß überzeugt. Aber im Moment haben wir im Biosektor relativ gesehen starke Entwicklungszahlen, allerdings auf kleinem Niveau.

Honsel: 3,2 auf 3,7! Das ist eine Riesenentwicklung, aber das heißt auch: 96 Prozent haben mit Bio nichts zu tun.

Steinmann: Richtig. Das liegt im Übrigen daran, dass eben die 96 Prozent von der objektiven Qualität her Spitzenklasse sind. Ich sage einmal, besser sind als manches Bioprodukt im Ausland – wo es die Lebensmittelkontrollen, die wir hier bei uns haben, so nicht gibt. Also, die Leute werden qualitätsbewusst einkaufen, aber sie werden auch und gerade in Deutschland preisbewusst einkaufen. Darüber mache ich mir keine Illusionen.

Das spielt auch jetzt eine ganz große Rolle bei der Weiterentwicklung, zum Beispiel bei der Nutztierhaltung. Da wird als Ist-Situation einfach unterstellt, dass der Verbraucher in Deutschland die Mehrkosten dieses – ich sage das jetzt einmal etwas zynisch – dieses Wunschkonzertes des Umbaus der Landwirtschaft nicht bezahlen wird. Es wird auch unterstellt, dass, wenn wir als Gesellschaft so etwas wie Tierwohl mit höheren Produktionskosten dennoch wollen, wir diese Mehrkosten erstatten müssen, wenn wir die Produktion in Deutschland halten wollen. Dabei haben wir Landwirte – Stefan Nießing und Herr Honsel, Sie wissen das – lange dafür gestritten, dass wir von den ewigen gekoppelten Prämien aus Brüssel abgekommen sind. Aber wir werden wieder gekoppelte Prämien kriegen, weil es anders nicht darstellbar ist. Da muss dann der Verbraucher, der auch gleichzeitig Steuerzahler ist, einfach über ein anderes Konto die Mehrkosten der Landwirte erstatten. Und zwar nur, weil er das bei Ihnen an der Ladentheke nicht tun wird, sondern zur billigeren Alternative greift. Wie groß sind die Unterschiede zwischen Ihrem Tierwohlfleisch und nicht Tierwohlfleisch, Herr Honsel?

Honsel: Vier Cent. Aber nicht mal die haben wir durchbekommen.

Nießing: Vier Cent, für Tierwohl (schüttelt den Kopf).

Honsel: Wenn wir uns die Fleischpreise angucken, vor Tierwohl und nach Tierwohl, dann stellen wir fest, dass wir noch nicht einmal die vier Cent geschafft haben.

Steinmann: Und das liegt nicht daran, dass der Herr Honsel zu blöd ist, das umzusetzen. Es liegt daran, dass der Verbraucher so ist, wie er ist. Er bezahlt es nicht. Da sind wir uns einig heute: Wir werden den Verbraucher nicht ändern. Er ist, wie er ist, und er trifft seine Entscheidungen, und danach müssen wir uns auch als Marktpartner letztendlich ausrichten.

Honsel: Doch, wir verändern ihn!

Steinmann: Wir können ihn beeinflussen. Durch Werbung. Werbung kann eine Menge beeinflussen, Fake-News übrigens auch.

Honsel: Nicht mehr! Die Jugend ist anders drauf, und die Jugend beeinflusst die ältere Generation, weil die ältere Genration sich beeinflussen lassen will von der Jugend. Das heißt, wenn wir in der Jugend die Diskussionen führen – und ich rede jetzt nicht von Ideologie, sondern die verhalten sich heute schon anders. Und irgendwann wird es eine größere Veränderung geben, die zieht sich dann über alle Gesellschaftsschichten.

Herr Steinmann: Die Veränderung kommt dann aber freiwillig vom Verbraucher. Auch die Politik ist nicht in der Lage, den Verbraucher zu verändern. Das sehen wir jetzt an den jüngsten Zahlen der neu zugelassenen Kfz. Noch nie wurden so viele PS-starke Autos zugelassen wie in 2019 – und in keinem Jahr wurde mehr über den Klimawandel und Co2-Ausstoss diskutiert. Wir müssen den Verbraucher so nehmen wie er ist. Das ist die Erkenntnis.

Nießing: Es ist gut, dass Sie Herr Honsel mit Ihren Kunden und Mitarbeitern zu landwirtschaftlichen Betrieben fahren, um einfach einmal vor Ort zu zeigen, wie es ist. Ich glaube, die Landwirtschaft als auch der Einzelhandel tun nämlich beide gut daran, zukünftig gemeinsam auf die Regionalität zu setzen. Regionalität ist das neue Bio! Es gibt ja so ein schönes Wortspiel: Bionalität. Dafür kämpfe ich! Wir haben hier einen Markt mit 80 Millionen Verbrauchern – und ich glaube, das ist nicht nur für den Handel eine Chance, sondern auch für die Landwirtschaft.

Fricke: Regionalität ist schon lange mein Anliegen. Sie zieht eine ganze Menge anderer Dinge nach sich: Transportwege, persönliches Kennen des Produzenten und der Produktion.

Regionalität als Begriff alleine reicht aber nicht, sondern es muss dann eine Regionalmarke Münsterland oder Bodensee oder sonst was sein. Etwas, wo ich sehen kann, es kommt hier aus der Region oder es hat Transportwege hinter sich. Damit kann ich jedem auch immer wieder klar machen: Wir haben keine Schlachtviehtransporte über zehn oder zwölf Stunden oder über hunderte von Kilometer. Das wird der Verbraucher auf lange Sicht akzeptieren.

Ein Beispiel: Durch Mercosur-Handelsabkommen sind die Preise merkbar gesunken. Im Moment kostet also Rinderfilet aus Südamerika in der Metro achtundzwanzig Euro pro Kilo. Wir hatten zu Silvester Filet vom Ochsen gekauft, der aus Kirchhellen kam. Da haben wir 65 Euro pro Kilo bezahlt. Auf der einen Seite wird sich das nicht jeder leisten, auf der anderen Seite ist mir das die Sache wert.

Honsel: Dann haben der Züchter aus Kirchhellen, der Metzger vor Ort und Sie alles richtig gemacht.

Fricke: Ich kann nicht sagen: Ich bin für Umweltschutz! Ich bin für tolle Tierstandards! Und dann gehe ich zum Discounter, weil ich mich frage: Wo kriege ich das Billigste?

Aber das gibt es, ich habe es erlebt. Auf einer Friday-for-Future-Demonstration. Da trägt einer das Transparent „Here is no Plan B“ und fragt den Kollegen: „Sag mal, fährst Du Ostern wieder nach Malle?“ Entweder mache ich die Sache konsequent – oder ich bin scheinheilig.

Vielen Dank für die spannende Volksbank-Talkrunde!