Politik und Handel, Verwaltung und Ehrenamt – sie alle sitzen an einem Tisch zu einem Thema, das den VolksbankTalk in dieser MittelPunkt-Ausgabe beschäftigt: Wie gelingt es den Innenstädten in Dorsten, Kirchhellen und Bottrop, auch in Zukunft attraktiv zu sein? Eine engagierte Diskussion mit Bottrops Oberbürgermeister Bernd Tischler, Dorstens Bürgermeister Tobias Stockhoff, Stephan Kückelmann (Werbe- und Interessengemeinschaft Kirchhellen), Lorenzo Köller (Dorstener Interessengemeinschaft Altstadt) und Jochen Klee (Interessengemeinschaft Kirchhellener Straße, Bottrop) …
Bürgerschaftliches Engagement und offener Dialog: So gelingt Zukunft in unserer Innenstadt
Quo vadis, Innenstadt? Was planen Sie?
Kückelmann: Es gibt in Bottrop und Kirchhellen in den letzten Jahren eine sehr positive Entwicklung. Wir haben in unseren Innenstädten viel bewegt, vor allem mit schönen Veranstaltungen und einem starken Zusammenhalt in der Kaufmannschaft. Auch für die Zukunft planen wir regelmäßige Aktionen, um Kaufkraft zu halten und zu holen – und um uns abzugrenzen von den großen Einkaufszentren. Wir wollen, dass das Einkaufen vor Ort ein Erlebnis ist: durch Aufenthaltsqualität, gerade auch für Familien mit Kindern und für die ältere Bevölkerung.
Köller: Wir setzen in Dorsten ebenfalls stark auf bewährte und neue Veranstaltungen, die sehr gut angenommen werden, zum Beispiel dem Herbstfest und dem Feierabendmarkt. Denn wir wollen, dass sich die Menschen gerne für längere Zeit in unserer Innenstadt aufhalten. Dabei möchten wir für viele unterschiedliche Zielgruppen etwas bieten. Das erkennt man auch an den Programmen unserer Feste in der Altstadt. Aktuell haben wir natürlich mit dem Umbau in der Innenstadt eine besondere Herausforderung, aber das Feedback der Leute auf die ersten Ergebnisse ist sehr positiv.
Stockhoff: Den Gedanken möchte ich aufgreifen. Die Erneuerung der Fußgängerzone ist ja eines der größten Einzelprojekte im Stadterneuerungsprogramm „Wir machen MITte“. Was ich von den meisten Bürgern zu den bereits fertiggestellten Abschnitten höre: Das neue Pflaster passt hervorragend zum mittelalterlichen Grundriss unserer Stadt, die neuen Laternen, Bänke, Spielgeräte, Müllbehälter und Baumstandorte fügen sich modern und elegant ein. Dass wir so viel Lob bekommen, liegt sicher auch daran, dass wir die Bürgerschaft bereits bei der Planung eng eingebunden haben.
Klee: Ich finde, dass es uns in Bottrop gelungen ist, qualitativ sehr hochwertige Veranstaltungen zu machen. Eben nicht das Übliche, sondern den Feierabendmarkt, die Charity-Meile, das Fest der Kulturen. Das holt natürlich auch eine besondere Kundschaft in das Rathausviertel. Auf dem Weg wollen wir auch weitergehen.
Tischler: Dieses private Engagement ist für die Städte natürlich unerlässlich, und es ist gut, dass es Menschen gibt, die mehr tun als sie tun müssten, um den Handel und die Attraktivität der Innenstädte nach vorne zu bringen. Kompliment dafür! Wir als Städte wollen dafür natürlich die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Die Themen heißen hier Sicherheit, Sauberkeit, kurze Wege in die Stadtverwaltung.
Für die Bottroper Innenstadt sind wir derzeit in einer bedeutenden Phase, weil wir große Revitalisierungen anstehen haben. Eine bedeutende Maßnahme ist das ehemalige Karstadt-Gebäude, das wir erneut angehen müssen, denn wir brauchen diese Ankeranbieter. Darüber hinaus müssen wir und muss der Handel die Nischen finden, müssen wir schneller und flexibler sein. Es braucht gute Konzepte, stationäre Angebote und Online-Handel miteinander zu verbinden. So setzen wir mit dem Fraunhofer Institut auf ein Modell, bei dem wir einen Lieferservice auf Elektromobilität aufgebaut haben.
Stockhoff: Sehr gut ist, dass nicht nur in unserer Innenstadt, sondern auch in vielen Stadteilen wie z. B. Holsterhausen, Hervest, Lembeck oder Rhade und so weiter sehr viel ehrenamtliches Engagement in der Kaufmannschaft vorhanden ist. So viel Selbstverantwortung für das eigene Quartier ist nicht selbstverständlich! Denn natürlich könnten wir dafür auch Marketingagenturen einkaufen – mal abgesehen davon, ob dafür gerade auch Geld vorhanden ist. Und natürlich können solche Agenturen auch Hinweise geben. Ich denke, dass aber gerade die bürgerschaftliche Mitgestaltung unsere Städte und Dorsten insbesondere ausmacht. Bei uns gibt es eine gute Vernetzung und man stellt gemeinsam viel auf die Beine, Hol- und Bringdienste zum Beispiel. Dafür gibt es jetzt Bürgerbusse. Da engagiert sich auch die Volksbank dankenswerterweise.
Denn beim Einkaufen ist es wie beim Essen. Das kann reine Nahrungsaufnahme sein oder es kann Spaß machen. Und wenn wir gegen den reinen Internet-Handel punkten wollen, dann muss eben auch das Einkaufen ein Erlebnis sein. Die Leute müssen sagen: Ich gehe gerne in die Stadt, weil ich dort Menschen treffe und einen Kaffee trinken kann. Und wir wissen, dass die meisten Verbraucher, die einen Kaffee in der Innenstadt getrunken haben, mit einer Einkaufstüte nach Hause fahren.
Natürlich muss dafür auch die Stadtverwaltung vernünftige Rahmenbedingungen schaffen. Dazu gehört übrigens auch Barrierefreiheit. Da haben wir den Vorteil: Wir bauen gerade unsere Innenstadt um und berücksichtigen das. Und wir haben viele kleine Aktionen, zum Beispiel mit unseren Heimatvereinen, und viele große. Beispielsweise der Dorstener Kultursommer der Vereinten Volksbank. Das ist eine große Bereicherung für unsere Innenstadt. Insgesamt punkten wir mit Herzblut gegenüber den Einkaufszentren. Denn wir machen solche Aktionen für die Menschen vor Ort. Und für unsere Stadt.
Wie kommt man zu Ideen, um unsere Innenstädte fit für die Zukunft zu machen?
Stockhoff: Bei uns kommen sehr viele gute Ideen aus der Bürgerschaft und der Kaufmannschaft. Wir haben einen regelmäßigen Austausch wie beispielsweise unser monatliches Treffen zum Innenstadtumbau. Wir bauen ja gerade unser Wohnzimmer um, unsere „Gute Stube“ – also unsere Fußgängerzone.
Tischler: Natürlich haben wir in unserer Verwaltung Fachleute für all diese Themen. Aber ich höre auch sehr intensiv auf die Menschen, die jeden Tag hinter der Ladentheke stehen und daher viel mehr Ahnung haben, wo man sofort und konkret etwas verbessern. Das sind oft Kleinigkeiten, aber es sind die Bedürfnisse derjenigen, die in unserer Innenstadt ihr Geld verdienen. Wir brauchen eben beides: Flexibilität und Strategie.
Klee: Wenn du Lust hast, etwas zu machen, und es auch noch funktioniert, ist das natürlich schön. Aber was mich ein Stück weit stört: dass wir etwas gegen Einkaufszentren unternehmen wollen. Die Käuferschaft, die wir ansprechen wollen, hat doch gar keine Lust auf so etwas. Die wollen viel lieber nach Venlo. Und warum? In Venlo gibt es noch total viele inhabergeführte Geschäfte, da gibt noch total viel Individualität. Deshalb finde ich wichtig, dass diese inhabergeführten Geschäfte unterstützt werden.
Köller: Was stark gefragt wird, das ist Service. Dafür kommen die Leute. Damit kann man sich auch abgrenzen von Filialisten. Natürlich kommt man da auch ins Gespräch mit den Bürgern und hört von ihnen, was sie sich für die Innenstadt wünschen oder was auch gerade nicht richtig läuft. Das funktioniert gut, und es hat auch etwas Familiäres. Und deshalb öffnet auch der Kollege an einem verkaufsoffenen Samstag, obwohl vor seiner Haustür gerade die große Baustelle ist.
Kückelmann: Wir haben in den vergangenen Jahren gute Netzwerke aufgebaut, aus denen gute Impulse auch an die Kommune gehen. Aber es gibt eine Reihe von Kaufleuten, die nur auf sich konzentriert sind und sich nicht für das große Ganze interessieren. Dabei hilft es manchmal, auf andere Städte zu schauen, weil sie uns vielleicht einen Schritt voraus sind. Deshalb ist es gut, wenn nicht alle Akteure Einzelhändler sind, sondern auch andere mitmachen in den Werbegemeinschaften. Ich erinnere mich an den Feierabendmarkt, von dem mancher glaubt, er sei eine Bottroper Erfindung. Dabei stammt die Idee aus Buer.
Klee: Stimmt, aus Gelsenkirchen. Aber wir waren die ersten, die das kopiert haben.
Wie erkennen Sie denn Trends?
Stockhoff: Wir sollten stets offene Augen und Ohren haben. Ich schreibe mir gerne als Erinnerung eine E-Mail, wenn ich bei einer Veranstaltung oder im Urlaub etwas Interessantes gehört oder gesehen habe. Das Gleiche machen übrigens auch ganz viele Bürger oder Vertreter der Kaufmannschaft: Sie sehen etwas, geben uns dazu Hinweise und man überlegt gemeinsam, kann das etwas für Dorsten sein? Daraus können sich wichtige Trends für unsere Stadt entwickeln.
Köller: Wenn wir etwas erkennen, dann sollten wir nicht schimpfen, dass etwas bei uns nicht gut oder woanders besser läuft. Wir müssen stattdessen direkt in den Dialog gehen. Dann ziehen wir alle an einem Strang, und nur so kann es besser werden.
Klee: Ich habe einen Blumenladen in Bottrop, und wenn du keine Trends erkennen kannst, dann kannst du auch keinen Blumenladen machen. Du bist immer auf der Suche nach dem Besonderen. Das ist eine Gewohnheit, die lege ich auch nach Feierabend nicht ab. Und natürlich sprichst du über solche Ideen auch mit Kunden und bekommst dann sofort ein Feedback. Übrigens auch, wenn etwas schlecht ankommt. Da haben wir unsere Charity-Meile am Sonntag, und ein Kunde erzählt mir, dass er sich so ärgert, dass die Stadt jetzt die Politessen durch die Straßen jagt und die schreiben 30-Euro-Tickets.
Tischler: Und bei mir kommen die anderen in die Sprechstunde und sagen: Sie müssen mal mehr Politessen rausschicken, die parken bei mir alles zu und keiner kümmert sich. Herr Oberbürgermeister, jetzt machen Sie mal was!
Stockhoff: Da sind wir dann als Stadt Schiedsrichter, deren wichtigste Aufgabe ist, das Spiel am Laufen zu halten.
Ideen für zukunftstaugliche Ideen gibt es viele. Wie entwickeln Sie sie weiter?
Kückelmann: Anders als die Stadtverwaltung können wir nicht langfristig planen. Wir machen eher kurzfristig wirksame Dinge, die auch nicht so viel Geld kosten. Wir setzen darauf, dass vor allem die Kommunen die Rahmenbedingungen weiter verbessern.
Was mir aber wichtig ist: Wir haben immer den strategischen Vorteil, dass für die Menschen in der Stadt wohnen, die eigene Innenstadt die nächste Einkaufsmöglichkeit ist. Woanders – da muss man erst mal hinfahren. Und genau darauf können wir aufbauen.
Tischler: Was wir unbedingt erreichen müssen, ist die Multifunktionalität unserer Innenstädte. Wir dürfen uns nicht einseitig in eine Richtung entwickeln, sondern müssen möglichst viele Nutzungen auf engem Raum anbieten. Das ist es, was unsere Innenstädte besser machen. Besser als jedes monokausale Einkaufszentrum.
Stockhoff: Große Städte haben natürlich mehr Ressourcen. Kleine Städte haben dafür mehr bürgerschaftliches Engagement. Wir können damit manches schneller entwickeln, bekommen oft auch schnell die PS auf die Straße. Deshalb gibt es in manchen Bauerschaften heute schon Glasfaser! Hätte man auf irgendwelche Förderprogramm gewartet, wäre das anders.